Musikalisches Metrum dient üblicherweise als strukturelle Konstante in der Musik. Es stellt ein Raster aus regelmäßigen Pulsen und Akzenten bereit, auf dem sich Rhythmen entfalten können. In der Westlichen Musik bleibt das Metrum in der Regel über längere musikalische Abschnitte hinweg oder sogar durchgehend gleich. Mitunter wird diese Regelmäßigkeit jedoch unterbrochen, etwa durch abrupte metrische Wechsel oder polymetrische Strukturen. Derartige Variationen einer vermeintlichen Invarianten bringen bisherige Konzeptionen von Metrum in Erklärungsnot. Zunächst sollen daher verschiedene metrisch komplexen Strukturen in einer Taxonomie vorgestellt werden. Der Beitrag versteht sich sodann als Annäherung an einen neuartigen, mengentheoretischen Ansatz zur Konzeptualisierung metrischer Stabilität. Aufbauend auf den beiden etablierten Dimensionen pulse duration (horizontale Ebene) und hierarchical depth (vertikale Ebene) wird mit der metric stability eine dritte, holistische Dimension für die formale Beschreibung von Metren eingeführt, die zugleich einen Beitrag zur quantitativen Erfassung metrischer Komplexität leisten soll. Die Analysen sollen an den Vokalwerken Hugo Distlers (1908-1942), insbesondere jenen aus seiner Lübecker Zeit, exemplifiziert werden. Neben tonalen Besonderheiten sind es nämlich gerade die metrischen Irregularitäten, die seinen Kompositionen „unverkennbare Distlersche Züge“ (W. Lüdemann) verleihen. Das metrische Spektrum reicht dabei von genuiner Polymetrik bis hin zu häufigen homometrischen Wechseln in der Gesamtfaktur."